Vorbilder & wie das Verhalten von Chefs und Staatsoberhäuptern Einfluss auf uns nehmen kann…

Vermutlich jeder Mensch hat Vorbilder. Sie auch, oder? Wenn ich im Coaching frage: Wer ist Ihr Vorbild? antworten 80 % der Coachees erst einmal „beruflich oder privat?“… Manche wissen es danach blitzschnell, andere überlegen eine Weile. Letztlich hat noch jeder einen Menschen gefunden, dessen Verhalten er bewundert hat, dessen Leistungen ihn angespornt haben, dessen Wissen er verblüffend fand.

Ein Vorbild verstehen die meisten Menschen als etwas Positives, etwas das nachahmenswert ist.


Vorbild? Was ist das?

Vorbilder regen also dazu an, nachgeahmt zu werden. Durch Vorbilder entwickeln Menschen auch neue Ideale und Ziele aus.

Geschwister Scholl, Martin Luther King, Albert Schweitzer, Mahatma Gandhi… . Wir sehen am Beispiel berühmter Persönlichkeiten mit Vorbildcharakter, wie deren Grundsätze, Zitate und Errungenschaften in unsere Schulbildung eingehen, wie in deren Namen gemeinnützige Organisationen, z.B. Stiftungen, gegründet werden.

Auf der Rangliste Nummer 1 der berühmten Rollenvorbilder von Chefs rangierte bei einer Befragung im Jahre 2009 übrigens der inzwischen verstorbene Altbundeskanzler Helmut Schmidt, gefolgt von Barack Obama und unserer Bundeskanzlerin Angela Merkel. [1] Das Verhalten dieser Persönlichkeiten haben die befragten Führungskräfte wohl als nachahmenswert, als vorbildlich, weil erfolgswirksam interpretiert.

Der Begriff „Vorbild“ ist eng mit solchen wie „Benchmarking“, „best practice“ verknüpft. Hier stehen erfolgreiche Konzepte als Vorbild und laden Einzelpersonen oder Organisationen dazu ein, die wirksamen Kernpunkte, die besten Praktiken und Handlungsweisen zu reflektieren und in die eigene Praxis zu implementieren. Das Ziel ist dabei, ebenso produktiv oder sogar noch effektiver zu sein. Das Vorbild als Ausgangspunkt für die eigene Leistungssteigerung. Doch zeichnen sich Vorbilder zwangsläufig durch ihre positiven, wertvollen Einstellungen und Verhaltensweisen aus?

Für den deutschen Soziologen Max Weber war ein Vorbild ein idealtypisches Maß von Etwas. [2] Die Perfektion einer Sache, einer Eigenschaft, die unerreichbar ist. Interessanterweise kommt es bei den Begriffen „Maß“ und „Perfektion“ nicht auf Ethik und Moral an. Schließlich kann jede Eigenschaft vorbildhaft gute wie auch vorbildhaft schlechte Auswirkungen zeigen. Wir kennen solche Aussprüche, wie z.B. „Vorbildlich!“ versus „Das ist ein ganz schlechtes Vorbild.“ und ahnen: Vorbild funktioniert anscheinend in beide Seiten.


Vorbild? Wie wirkt das?

Ein Vorbild prägt andere Menschen vor allem durch das Verhalten, das es zeigt. Menschen imitieren ihre Vorbilder. Das ist ein wichtiger menschlicher Lernprozess. Er sorgt dafür, dass wir uns bereits als kleine Kinder an unseren Eltern, anderen Erwachsenen oder älteren Kindern orientieren und deren Verhalten nachahmen, wie es schon Säuglinge mit den Gesichtsausdrücken ihrer Eltern tun.

Vielleicht kennen Sie den Begriff „Lernen am Modell“? Albert Bandura, einer der bekanntesten, führenden Psychologen unserer Zeit, hat ihn bereits Mitte des vergangenen Jahrhunderts geprägt. Er versteht darunter Lernvorgänge, die auf der Beobachtung des Verhaltens von menschlichen Vorbildern beruhen. Relevant ist dabei nicht, ob die Person als Vorbild „ausgezeichnet“ ist, sondern ob die Person als eine wahrgenommen wird, die sozial oder in der Hierarchie „höher gestellt“ ist. Albert Bandura konnte mit Kollegen in einem Experiment zu Lernen am Modell zeigen, dass Kinder das Verhalten nachahmen, das ihnen erwachsene Personen vorleben. Alle Kinder, denen im Rahmen der Studie ein sich aggressiv verhaltender Erwachsener präsentiert worden war, zeigten anschließend deutlich mehr aggressive Verhaltensweisen, als Kinder, denen ein nicht-aggressiver Erwachsener gezeigt worden war.


(Entgleistes) Vorbild? Warum ist das für Führung relevant?

Der im Jahre 2013 viel zu früh verstorbene Professor für Organisations- und Wirtschaftspsychologie Lutz von Rosenstiel sagte gern: „Man kann nicht nicht führen. [3]“ und unterstrich damit die Wirkung des Verhaltens von Führungskräften für das Verhalten ihrer MitarbeiterInnen. Bei Staatsoberhäuptern wie bei Führungskräften in Unternehmen und anderen Organisationen gilt deren Verhalten als Symbol für die Geführten. Es wird immer beobachtet, interpretiert und gegebenenfalls nachgeahmt – mit zwei Maßgaben:

  1. Ob das Chefverhalten nachgeahmt wird, richtet sich durchaus auch danach, ob es in der Welt des Beobachters erfolgversprechend zu sein scheint.
  2. Ob das gezeigte Verhalten ethisch und in einer geteilten Gemeinschaft wertekonform ist, werden verschiedene Beobachter unterschiedlich interpretieren.

Für Führungskräfte ist es daher wichtig zu wissen, dass sie immer als Führungskraft wahrgenommen werden. Ihr Verhalten wird von den Geführten beobachtet und möglicherweise als Maßstab interpretiert.

Die Führungskraft gibt ihren Geführten auch Werte, Normen, Spielregeln vor. Auch hierüber beeinflusst sie das Verhalten ihrer MitarbeiterInnen und langfristig auch die Kultur in ihrer Organisation.

In größerem Unternehmen sehen Sie die unterschiedliche (Vorbild-)Wirkung von verschiedenen Führungskräften derselben Hierarchieebene durchaus auch am unterschiedlichen Verhalten der MitarbeiterInnen. Junge Nachwuchskräfte lernen vom Verhalten ihres eigenen Chefs schnell, dass AssistentInnen nicht gegrüßt werden und im Befehlston miteinander geredet wird. Ebenso schnell lernen sie auch kooperative Spielregeln sowie respektvolles, freundliches Miteinander, wenn es der eigene Chef so vorlebt.

Führungskräfte, die sich offenkundig unethisch – außerhalb der Grundsätze unserer humanistischen Wertegesellschaft – verhalten, können langfristig nicht erfolgreich sein. Der Stand der aktuellen Forschung zeigt, dass humanistische, ethische Führung herkömmlichen Führungsansätzen überlegen ist. Dies lässt sich an höheren Umsätzen und Marktanteilen ebenso zeigen wie an sinkender Fluktuation und Absentismusrate.

Führungskräfte mit unethischen Wertesystemen und Menschenbildern könnten nun natürlich zum Schein vorgeben, sie würden ethische, humanistische Grundwerte teilen. Auf Dauer können sich solche Führungspersonen wohl aber nicht stimmig verhalten. Vielmehr wissen wir aus der psychologischen Forschung zu Erwartungseffekten, dass sich das, was Menschen annehmen, denken, bewerten, auch in ihrem Verhalten zeigt (z.B. self-fullfilling prophecy).

Führungskräfte, die unethische Menschenbilder und Führungsprinzipien haben, werden von ihren MitarbeiterInnen beobachtet. Diese werden das unethische, möglicherweise menschenverachtende Verhalten entweder nachahmen oder sie werden orientierungslos sein. Ihnen fehlt dann die Führungskraft, die das positive vorbildliche Verhalten zeigt, an dem sie sich ausrichten können.

Führungskräfte, die öffentlich entgleisen, andere Menschen beleidigen, respektlos verhöhnen, nachäffen, verlieren jeglichen Kontakt zu ihrer Führungsaufgabe. Sie sind zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Viele Führungskräfte mit solchen Verhaltensmustern leiden an Narzissmus. Als Führungskraft sehen sich gerne als „Macher“, brauchen das Gefühl, wichtig und grandios zu sein. Leider haben sie gleichzeitig eine ganze Reihe empathischer Defizite, was sich in einem rücksichtslosen Verhalten äußert, das Kritik nicht annimmt, andere abwertet, beleidigt und so die einzigartige Brillanz ihres eigenen Daseins unterstreichen soll.

Freilich ist auch ein solches Verhalten nicht ethisch, es verletzt Menschen. Es fördert auch keine Leistung, sondern sorgt dafür, dass sich die Geführten in Sicherheit bringen. Gleichzeitig sorgt es über seine modellhafte Wirkung für ein schlechtes Vorbild und zeigt: Was der Chef darf, darf ich auch. Was der Chef tut, mache ich auch.


Fazit

Führungskräfte wie Staatsoberhäupter sind Vorbilder für die von ihnen Geführten. Je nachdem, wie ethisch & wertekonform sowie wie erfolgswirksam ihr Verhalten ist, sind sie für ihre Geführten gute oder eben schlechte Vorbilder.

Lernen am Modell ist ein zentrales Lernprinzip des Menschen. Es zeigt, dass Menschen das Verhalten ihrer Vorbilder nachahmen. Sie übernehmen beobachtete Verhaltensweisen und Spielregeln im Miteinander. Das funktioniert bei guten wie schlechten Vorbildern.

Führungskräfte sollten erfahren, welches Vorbild sie sind, wie sie von ihren MitarbeiterInnen gesehen werden. Dafür müssen sie an ehrlichem Feedback ihrer Geführten interessiert sein und dafür günstige Gelegenheiten schaffen und richtige Fragen stellen.

Aus der Forschung wissen wir heute, dass eine Führung, die nicht ethikorientiert ist, auch nicht erfolgreich sein kann. Schließlich richtet sich Führung als sozialer Prozess an Menschen. Menschen wollen mit Wertschätzung und Respekt behandelt und geführt werden. Das bezieht sich aus unserer Sicht auf das Verhalten, die Spielregeln, aber auch auf die vorgegebenen Inhalte, Projekte und Ziele.

Eine Führungskraft sollte daher reflektieren, dass sie immer als solche wahrgenommen wird – auch dann, wenn sie sich selber dieser Rolle gerade gar nicht bewusst ist.


Literatur:

Bandura, A., Ross, D., & Ross, S. A. (1961): Transmission of aggressions through imitation of aggressive models. Journal of Abnormal and Social Psychology, 63, 575-582.

Bandura, A., Ross, D., & Ross, S. A. (1963): Imitation of film-mediated aggressive models. Journal of Abnormal and Social Psychology, 66, 3-11.

Frey, D., Nikitopoulus, A., Peus, C., Weisweiler S., & Kastenmüller, A. (2010). Unternehmenserfolg durch ethikorientierte Unternehmens- und Mitarbeiterführung. In U. Meier & B. Sill (Hrsg.), Führung. Macht. Sinn. (S. 637-656). Regensburg: Friedrich Pustet.

Thomas W. H. Ng (The University of Hong Kong) & Daniel C. Feldman (The University of Georgia). Ethical Leadership: Meta-Analytic Evidence of Criterion-Related and Incremental Validity [Abstract]. Journal of Applied Psychology, 100 (3), 948-965.


[1] http://www.rp-online.de/…, Zugriff vom 27.01.2017.

[2] http://www.psychology48.com/…, Zugriff vom 27.01.2017.

[3] https://www.uni-bamberg.de/…, Zugriff vom 30.01.2017.

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